Izumi        
         
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Licht von Fern

Eines kennzeichnet die malerische Praxis von Izumi Kobayashi ganz besonders: Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Izumi Kobayashi konzentriert sich auf einige wenige motivische Modi, denen sie über Jahre hinweg verlässlich nachgeht und die sie auch nach längerer Zeit wieder aufgreift. Grundlage ihrer Malerei ist ein im wesentlichen feststehender Handlungs- und Sensationskanon, dem sie sich mit Verknappungen, Zuspitzungen, in Andeutungen und Variationen widmet. Selbst in der wiederholten Hinwendung vermeidet sie schnelle Ergebnisse, schon indem sie auf der Vielfältigkeit der Erscheinungen und Farbtöne insistiert, die Präsenz von Licht und dessen Effekte transzendiert und dies zu zentralen Anliegen ihrer Malerei erhebt.

Im Fokussieren elementarer Erlebniswelten ist ihre Malerei ausschließlich und analytisch. Die Bilder wachsen in Schichten und bleiben in ihren subkutanen Bewegungen körperhaft gegenwärtig. Die Oberfläche ist stofflich und durchlässig, Farbhandlungen sind in tieferen Schichten als pastellene, mitunter bröselige Spuren konserviert. Konsequenterweise sind schon die Phänomene, von denen ihre Darstellungen – als visuelle Attraktionen – handeln, miteinander verwandt. Sie verhalten sich in einem atmosphärisch dichten, zugleich entgrenzten Raumvolumen mit einem hohen Quantum vermeintlicher Ereignislosigkeit, entstanden im intensiven Beobachten über lange Zeit. Fläche und dreidimensionales Empfinden stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis, zu dem die Setzung von Lichtpunkten in geringer, dabei sich verschiebender Größe beiträgt: Nach oben hin findet meist ein Kippen in die Bildtiefe statt.

Izumi Kobayashis Bilder beschreiben die Sicht auf Natur und auf weite Landschaft. Vereinfacht gesagt, zeigen sie punktuelle und unfest lineare Helligkeit in einem durch Farbe definierten Vakuum. Sie suggerieren ein Verschmelzen von Wolken ebenso wie Lichtreflexionen und helle „Spuren“ auf und über einer Fläche, Kondensstreifen und Schaumkronen, und – bei den neueren Malereien – feine Bänder aus Bläschen, die bisweilen an Wasserfälle oder an das lineare Rieseln von Tropfen an der Fensterscheibe erinnern. Im lichthellen Kontinuum und in der Offenheit der Perspektive könnte sich manchmal auch der Eindruck einstellen, unterhalb des Wasserspiegels zu sein. Und mitunter evozieren die Lichter die Impression eines Landeanflugs, umhüllt von Dämmerung.

Seit Anfang ihrer Malerei setzt sich Izumi Kobayashi dem Topos der weiten Landschaft aus, gesehen aus der Ferne und teils mit einem Horizont, der zwischen Erde und Himmel trennt und zugleich vermittelt. Dann wieder erfasst sie die Strukturen und Farben der Natur aus unmittelbarer Nähe. Zu sehen sind, sonnenbeschienen, Gräser und Blüten, die im Bildformat aufragen und Unberührtheit signalisieren. Indes kennzeichnet alle Arbeiten von Izumi Kobayashi die Abwesenheit von Menschen.

Die Bilder von Izumi Kobayashi geben schon keine Dimensionen vor. Die Formate selbst sind nicht besonders groß, sie beschreiben einen unabsehbaren Raum. Aber was zunächst als konsonante Tiefe wirkt, erweist sich als Prozess. Alle Szene passiert in diesem Dazwischen. Die Ziehungen des Horizonts schaffen ein Sfumato, mit einem Verweben der Farbkontraste. Als Einblick sind die Malereien immer noch Ausschnitt, dabei häufig handelnd mit einem Ausgleich der Bildzonen. Die Bewusstwerdung, dass der Betrachter mit den Füßen auf dem Boden steht und dem Kopf in die Höhe ragt, ist fundamental für die Wahrnehmung dieser Malerei; angesprochen ist die eigene Kleinheit gegenüber der Größe der Umgebung, auch im metaphysischen Sinne.

Gewissermaßen zeigt Izumi Kobayashis Malerei Zustände von Ort, fern von jeder Narration und in einer fragilen Balance der vertrauten visuellen Phänomene mit dem Relativen von Erkenntnis. Das Philosophische und Fragende ihrer Malerei ist zudem in den Bildtiteln angelegt. Sie bestätigen im Lautmalerischen der japanischen Sprache und mit ihren Bedeutungen im Deutschen die Ebenen des hochpräzisen „Ungefähr“. Gewiss hat auch der spezifische Umgang mit den Farben und ihren Tönen, weiterhin die Reduktion, überhaupt das Innehalten vor jeder Konkretion mit ihrer fernöstlichen Herkunft zu tun.
Izumi Kobayashi, die in Japan Kunstgeschichte belegt und dort Kenntnis etwa des Werkes von Paul Klee erhalten hat, studiert danach an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Per Kirkeby erweist sich als maßgeblicher Lehrer, bei dem sie als Meisterschülerin abschließt. Ihr erster Katalog aus dem Jahr 1992 belegt, wie sehr ihre Bildsprache bereits ausformuliert ist. Gegeben sind festumrissene, in der Binnengestaltung differenzierte, gleichwohl abstrahierte amorphe Formen. Sie dominieren teils vereinzelt, teils zu mehreren einen farbig gefassten Naturraum – Izumi Kobayashi wendet sich schon da den Phänomenen zu, welche Natur und Landschaft bereithalten. Zwischen fremden Gewächsen und Gesteinen, gesehen aus wechselnder Perspektive, entziehen sich diese Formationen jeder gesicherten Größenordnung. Dabei sprechen sie unser tastendes Verhältnis gegenüber dem gemalten Bild mit seinen Sujets an, vorgetragen in einer Wechselbeziehung von taktiler Anrührung und nüchterner Distanzhaltung und mit einem Hauch von Erhabenheit, der noch – wie überhaupt in Kobayashis Werk – den Bezug zur Landschaftsmalerei der Romantik herstellt. Von da ausgehend kennzeichnet Izumi Kobayashis malerischer Weg die Rücknahme hin zu Chiffren und Landschaftskürzeln.

So entstehen Ende der 1990er Jahre Bilder, welche pflanzliche Formationen in zeichenhafter Verknappung notieren. Anhäufungen von Spiralen oder Stängeln folgen der Krümmung etwa einer Anhöhe und sind dabei bis in die obere Bildhälfte gerückt. Sie positionieren den Blick des Betrachters und evozieren eine vitale Oberfläche zwischen stabiler plastischer Präsenz und deren Durchlässigkeit. Die Farben, die sich bedingt der Natur zuordnen lassen, tragen eigenen ästhetischen Wert, und das Unfassbare transparenter Farbschichten ist mit dem Begreiflichen von Gegenstand verknüpft. Die einzelnen Motive selbst sind konzentriert, indem sie dinghaft, als autonome Gestalt auftreten. – In ihren Papierarbeiten und den kleineren Bildtafeln setzt Izumi Kobayashi derartiges bis heute fort. Sie erfasst innig und genau Früchte und Pflanzen, sogar Insekten mit durchscheinenden Flügeln, die für sich oder zu mehreren im weißen „leeren“ Bildraum stehen.

Diese kleinformatigen Arbeiten, denen Izumi Kobayashi eminente Bedeutung beimisst, teilen noch wesentliches ihrer Hinwendung zur Natur und zu dessen Alltäglichkeit mit. Und wir ahnen, wie Kobayashi ihre Motive empfindet, deren Stofflichkeit, Härte oder Weichheit, ihrer Transparenz und ihrem Volumen nachgeht und wie respektvoll ihre Aufmerksamkeit dabei ist. Sie befreit die Dinge von vorschneller Begrifflichkeit und nimmt sie als Erscheinung im Gegenüber ernst. Als Still-Leben in der Vereinzelung, die sogleich auch Belege für das Blühen, Vergehen und Dasein von Leben sind, berühren sie noch wesentliche Intentionen überhaupt ihrer Arbeit. Izumi Kobayashi entschleunigt alle Wahrnehmung, nimmt ihren visuellen Sensationen die Zeit. Ihre Bilder mahnen geradezu eine verlorene Bedächtigkeit an, entsprechend sind ihre Motive „unzeitgemäß“. Vielmehr, Izumi Kobayashis Bilder beschreiben die Wahrnehmung elementarer Realität als existentielle Erfahrung, vielleicht auch als Vergegenwärtigung von Verlorenheit und doch – als Folge der Erkenntnis – Geborgenheit. Es ist ein versöhnlicher und nie beunruhigender Ton, den sie in einer feinnervigen Bescheidenheit anschlägt: den sie der sorgsamen, geduldigen Betrachtung anvertraut.

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Thomas Hirsch
2011